Beatrice Müller mit Roboter Lio (Foto: Höfner)

Die "Schulung der Gefühle"

Dass der Roboter dereinst das Ruder übernehmen und uns Menschen in allen Belangen beherrschen wird – diese Vorstellung geistert da und dort in den Köpfen herum. Doch die Zukunftsforschung geht bereits einen Schritt weiter. Sie räumt zwar der künstlichen Intelligenz einen wichtigen Platz ein. Aber: Nur im Zusammenspiel mit der menschlichen Intelligenz.

Es herrscht dicke Luft im Sitzungszimmer eines kleinen Schweizer Software-Unternehmens. Die Uhr zeigt punkt 13 Uhr. Langsam füllt sich der Raum. Die Mitarbeitenden der Firma haben eine Aussprache verlangt – mit der gesamten Geschäftsleitung, inklusive HR-Vertretung. Eine Woche zuvor war ein Brief mit 20 Beschwerdepunkten auf dem Pult des CEO gelandet. Unterschrieben von einigen wenigen, im Auftrag von vielen.

Es ist der Ausgangspunkt für ein schwieriges Gespräch. Vieles wird in dieser Aussprache auf den Tisch kommen. Versäumnisse, Befindlichkeiten, persönliche Anschuldigungen. Die Stimmung ist gereizt. Auf eine neutrale Mediation wurde verzichtet. Man entschied sich für eine «Chropfleerete». 

Der Roboter rechnet, der Mensch denkt

Szenenwechsel. Anlässlich eines Hochschulforums wird über das künftige Bildungsangebot einer Schule nachgedacht. Der junge Zukunftsforscher Tristan Horx wird live zur Diskussion zugeschaltet. «Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir künftig junge Menschen für die Zukunft fit machen», ruft er in den Raum. «Macht es Sinn, dass wir ihnen bis ins Detail die Grundlagen der Betriebswirtschaft vermitteln, wenn doch der Computer in Zukunft das Zählen übernehmen wird? Es wird der Roboter sein, der rechnet.» 

Doch dann sagt er: «Der Mensch muss sich mehr denn je mit dem Zwischenmenschlichen beschäftigen». «Und was bedeutet dies für künftige Lehrpersonen?», fragt ein Dozent sichtlich beunruhigt in die Runde. «Sie müssen lernen, ihren Stoff anders zu vermitteln», gibt Horx zu verstehen. Auch auf Hochschulebene dürfe nicht ausschliesslich Lernstoff vermittelt werden. Fachkompetenz ist das eine. Doch es gehe in Zukunft vermehrt auch um das Erlernen von «Skills» im Bereich der emotionalen und sozialen Kompetenz, wie z. B.: zuhören können, kommunizieren können, verhandeln können oder etwa soziale Problemlösungen umsetzen können. Und diese Fähigkeiten müssten in allen Fächern zusätzlich geschult werden. 

Kooperation zwischen Mensch und Roboter

Roboter können heutzutage schon viel. Nicht nur in der Gesundheitsversorgung, sondern auch in der Bildung oder etwa der Tourismusbranche werden die humanoiden Helfer tagtäglich eingesetzt. Doch vor allem auf der Ebene «nonverbale Kommunikation» stösst die Robotik-Forschung bei der Entwicklung ihrer humanoiden Roboter noch immer an ihre Grenzen.  

Ein Pionier in den Bereichen künstliche Intelligenzen und menschen-fokussierte Robotik war der Schweizer Neurowissenschaftler Hansruedi Früh. In etlichen Bereichen, etwa in Alters- und Pflegeheimen wird sein Roboterarm «Lio» bereits seit einigen Jahren erfolgreich eingesetzt. Zwar kann Lio eine Rose überreichen. Mit der Verständigung jedoch tut sich der Assistenzroboter schwer. Und genau hier liegt die Krux. Ohne Mimik können wir Menschen uns nur schwer verstehen. Denn entgegen der landläufigen Meinung, sind es zu einem grossen Prozentsatz die nonverbalen Signale, die die zwischenmenschliche Verständigung ausmachen. 

Gestatten, mein Name ist Nadine 

Weiter entwickelt ist Nadine. Sie spricht und reagiert auf die Bewegungen ihres Gegenübers. Nadine gehört zu den wenigen Robotern weltweit, die nach menschlichem Vorbild gestaltet sind. Sie ist das Abbild ihrer Schöpferin, der Schweizer Wissenschaftlerin Nadia Magnenat Thalmann. Die Roboterexpertin forscht im Bereich Mimik und Gestik von Robotern. So hat sie ihrem Ebenbild Nadine beigebracht, zu sprechen und auf die Bewegungen ihres Gegenübers zu reagieren. Doch so verblüffend die charmante Kunstfrau agiert: Der Roboter kann die Kommunikation von Mensch zu Mensch nicht ersetzen.

Wie konnte es so weit kommen?»

Zurück ins Firmen-Sitzungszimmer: «Wie konnte es soweit kommen?», mit diesen Worten beginnt die Aussprache. Fein säuberlich werden während rund zwei Stunden Dutzende von Situationen geschildert, bei denen im Unternehmen aus Sicht der Mitarbeitenden falsch oder ungenügend kommuniziert worden sei. «Der Chef hat nie Zeit für ein Gespräch», lautet ein Vorwurf. «Immer, wenn man aus dem Büro des Chefs kommt, ist man total frustriert», ein anderer. Nach zwei Stunden gehässigen Austauschs endet die Sitzung: ohne Resultat. 

Wenn Arbeitskonflikte in emotionalen Ausbrüchen gipfeln, ist es oft zu spät

Sowohl Chef wie Mitarbeitende besuchten Weiterbildungskurse. Es wurde viel Fachwissen vermittelt. Doch wie man wertschätzend kommuniziert, aufeinander eingeht, sich präzise mitteilt, schwierige Gespräche führt, eine Krise erkennt, bevor das Vertrauen verloren geht, das stand nie auf einer Weiterbildungs-Liste.

Der Chef führt das Personal anonym und roboterhaft. In der Theorie weiss er viel. In der Praxis wenig. Und so steht er hilflos vor einer wütenden Belegschaft – und kann den Mitarbeitenden nicht einmal in die Augen schauen. Längst hätte die Führungsperson erkennen müssen, dass sich hier etwas Ungutes zusammenbraut. Längst wäre eine Aussprache vonnöten gewesen, in Zeiten, als noch kein Geschirr zerschlagen war.

Aber auch die Mitarbeitenden stehen in der Pflicht. Längst hätten sie kommunizieren sollen, hätten sie sich erklären müssen. Und wenn die Fähigkeit zur Selbstreflexion fehlt? Wenn die Gruppe nicht dazu in der Lage ist, ihre eigene Rolle zu reflektieren, ihre eigenen Pflichten und Aufgaben zu erkennen? Dann müssten sie sich schleunigst daran machen, diese skills zu trainieren.

Wohin sich wenden, wenn der Schuh drückt?

In der Schweiz gibt es viele Institutionen, die sich mit Arbeitskonflikten beschäftigen. Von der Gewerkschaft, über ein Zivilgericht bis zur kantonalen Schlichtungsbehörde oder gar der eidgenössischen Einigungsstelle- alle sind da, um gravierende einzelne oder kollektive Probleme am Arbeitsplatz zu lösen.

Das Ziel wäre es jedoch, wenn alle Beteiligten eines Unternehmens in der Lage wären, viel früher die Reissleine zu ziehen. Fähig wären, zu erkennen, wenn sich ein Konflikt anbahnt, differenziert zu kommunizieren, wenn etwas nicht mehr stimmt, offen zu reden, wenn Belastungen zu gross werden. Mit anderen Worten: wenn ein Unternehmen eine Umgebung anbietet, die dazu einlädt, sich auf Augenhöhe miteinander auszutauschen.

Das emotionale Alphabet lernen

Bereits Mitte der Neunzigerjahre legte uns der Psychologe Daniel Coleman in seinem mit grösster Anschaulichkeit geschriebenen Buch ans Herz, dass wir künftig das emotionale Alphabet lernen müssten. Will heissen, fähig zu sein, Emotionen in Bezug auf sich selbst und andere Menschen wahrzunehmen, zu verstehen, sie auszudrücken, und mit ihnen umzugehen. Diese Fähigkeit müssten wir genauso lernen wie rechnen und schreiben.

Emotionale Intelligenz ist denn auch mehr denn je eines der Schlüsselwörter, wenn es um zukünftige Skills geht. Herz und Verstand, Emotionalität und Rationalität müssen eine Einheit bilden. 

Wenn Roboter in Zukunft das Rechnen übernehmen, gewinnen wir Zeit, unsere emotionale Intelligenz weiterzuentwickeln und uns ausgiebig mit dem Menschen zu beschäftigen.