Blog Beatrice Müller Medientraining

Flirten mit der Kamera - ein anspruchsvolles Date

Das bewegte Bild wird bald wichtiger sein als das geschriebene Wort. Umso wichtiger ist es, eine «Beziehung» zur Kamera aufbauen zu können. Nur so kann man professionell kommunizieren.

Früher kommunizierte man per Telefon, dann per Mail, dann per WhatsApp, Twitter und Facebook. Und heute will unbedingt jeder ein Filmchen von sich ins Netz stellen. Everybody goes video. Alle haben das bewegte Bild entdeckt. Doch was man da alles sieht, ist oft schwer auszuhalten. Es wimmelt von oft peinlich aussehenden Selbstdarstellern. Oft werden die grundlegendsten Regeln missachtet.

All jene, welche von heute auf morgen in die bereits existierende oder hastig neu geschaffene, heimische Bürowelt katapultiert worden sind, mussten sich allenfalls schleunigst und ohne grosse Anleitung mit der digitalen Konferenz-Technik auseinandersetzen. Was für manche nicht «technik-affinen» Geister unter Umständen mit grossem Stress verbunden war. Nun ist man erst mal glücklich, dass die Technik funktioniert: dass man auftreten und mitreden kann. Doch ein Blick in die derzeit inflationär stattfindenden Online-Meetings zeigt, dass punkto Auftrittskompetenz – sagen wir es diplomatisch – noch viel Verbesserungspotential zu orten ist.

Damit unsere Botschaft auch virtuell professionell rüberkommt, gilt es, einige Regeln zu beachten. Hier ein paar Tipps zum professionellen virtuellen Kommunizieren:

Den Kontakt zum Ansprechpartner aufrechterhalten

Die meisten Menschen verlieren sich sehr schnell im virtuellen Raum. Weil die Gesprächspartner in Online-Konferenzen nicht physisch im Raum präsent sind, fühlt man sich schnell unbeobachtet. Erinnern Sie sich daran, was Sie tun, wenn Sie mit jemandem telefonieren? Sie streicheln Ihre Katze, betrachten Ihre Fingernägel, holen sich ein Käsebrot aus dem Kühlschrank oder spielen mit einem Gegenstand in Ihren Händen. Genauso setzen wir uns in der Regel vor unseren Laptop. Im ersten Moment sind wir uns bewusst, dass da ja noch eine Kamera vor uns ist. Doch bald schon fühlen wir uns nicht mehr beobachtet. Und schon verlieren wir den Kontakt zum Gegenüber. Deshalb ein wichtiger Tipp: Bleiben Sie angedockt und aufmerksam. Und vor allem: bleiben Sie während des ganzen Gespräches in Kontakt zu Ihrem Ansprechpartner.

Der Mensch im schwarzen Loch

Was für den realen Auftritt gilt, gilt auch für den virtuellen Auftritt. Versuchen Sie, während Ihrer ganzen Video-Konferenz Ihr Gegenüber nicht aus den Augen zu verlieren. Kommunizieren Sie, wenn Sie reden, möglichst viel mit dem Kamera-Auge. Flirten Sie mit der Kamera. Stellen Sie sich darin Ihr Gegenüber vor. Auch wenn es schwerfällt, werfen Sie, während Sie reden, Ihre ganze Passion in dieses – zugegebenermassen nicht sehr attraktive «schwarze Loch». Stellen Sie sich in diesem kleinen schwarzen Loch die Augen eines Menschen vor, dem Sie unbedingt etwas erzählen möchten.

«Schau mir in die Augen, Kleines»

Ein Blick kann töten, ein Blick sagt mehr als tausend Worte, Augen lügen nicht oder wie es Hildegard von Bingen einst sagte: die Augen sind die Fenster der Seele. Wenn wir mit unserem Gegenüber kommunizieren, sind es zu einem grossen Teil unsere Augen, die mithelfen, das auszudrücken, was wir meinen. Mit den Augen nehmen wir Kontakt auf, führen und lenken das Gesagte. In den Augen erkennen wir die wahre Absicht unseres Gegenübers. Vorausgesetzt, wir haben gelernt, diese nonverbalen Signale zu verstehen. Auch unser virtuelles Gegenüber möchte uns gerne in die Augen sehen. Doch dies ist in der Online-Konferenz nicht zeitgleich möglich.

Die Augen können demaskierend sein. Sie zeigen, ob man nervös ist, ob man flunkert, ob man bei der Sache ist, ob man etwas zu verbergen hat. Wer stets nach links und rechts, nach oben und unten blickt, wirkt unsicher und wenig glaubhaft. Anderseits ist ein starrer Blick auch nicht vertrauenseinflössend. Versuchen Sie, ruhig und entspannt ins schwarze Loch zu schauen.

Ping-Pong

Die Schwierigkeit eines virtuellen Gespräches besteht darin, dass Sie die Reaktionen Ihres Gegenübers nicht zeitgleich prüfen können. Dies tun wir in der Regel in einem realen Gespräch. Wenn wir einem Menschen live gegenübersitzen, achten wir auf die Mimik, auf die Körperhaltung und auf alle nonverbalen Signale, die uns unser Gegenüber gibt, während wir reden. Und lassen uns sehr oft dadurch auch unmittelbar beeinflussen. Im virtuellen Gespräch ist dieses natürliche Ping-Pong nur bedingt möglich. Teilen Sie deshalb vor der Laptopkamera Ihre Blickrichtung bewusst auf: wenn Sie reden, blicken Sie in die Kamera. Das ist der Moment, in dem Ihr Gegenüber Sie betrachtet. Wenn Sie zuhören, können Sie den Blick wieder vom Kamera-Auge lösen.

Nicht ins Wort fallen

Das virtuelle Gespräch unterscheidet sich in wesentlichen Dingen vom realen Gespräch mit einem realen Menschen gegenüber. Im virtuellen Raum ist die Kommunikation verlangsamt. Wir müssen einander zuhören. Das «Ins-Wort-Fallen» kommt schlecht an. Dies ist für einige Menschen eine Erfahrung, mit der sie sich unter Umständen schwertun. Wer sich in Online-Konferenzen als "Dauer-Redner" inszeniert, zeigt mehr von seinem wahren Selbst als ihm lieb ist. Man MUSS einander zuhören. Sonst gibt es ein Hick-Hack, das niemandem etwas bringt. Man MUSS seine Wortmeldung kurz gestalten, damit sich alle ausgewogen am Gespräch beteiligen können.

Der Hintergrund entlarvt Sie

Der Hintergrund sagt viel über Sie aus. Sie werden immer auch im Zusammenhang mit dem Hintergrund wahrgenommen. Im virtuellen Raum erfahren wir deshalb oft mehr über Sie, als wenn Sie in einem Sitzungszimmer sprechen. Wenn sich im Gespräch plötzlich ein kleines Kind lautstark bemerkbar macht und bei Mami unbedingt ganz dringend und absolut sofort auf den Schoss kriechen will, ist es bald vorbei mit dem geschäftlichen Thema. Achten Sie darauf, dass im Hintergrund kein aufdringliches Bild oder Plakat an der Wand hängt; Sie werden automatisch mit diesem Bild identifiziert. Der Hintergrund kann Sie auch lächerlich machen. Beim Auftritt eines CEO sah man im Hintergrund auf einem Gestell einen «Wackeldackel». Der CEO kriegte schnell den Übernahmen «unser Wackeldackel-Chef».

Das Outfit

Bei einem Video-Auftritt fängt die Kamera Ihr Gesicht gross ein. Man sieht alles, alle Unreinheiten der Haut, man sieht, ob Ihnen Haare aus der Nase wachsen, ob sie fettige Haut haben. Die Kamera potentiert alle Unzulänglichkeiten. Seien Sie sich dessen bewusst.

Achten Sie auf den Lichteinfall, wenn Sie vor der Kamera sitzen. Lassen Sie das Tageslicht wenn möglich frontal von vorne auf Ihr Gesicht scheinen. Alle anderen Winkel bringen unvorteilhafte Schatten in Ihr Gesicht. Achten Sie auf Ihr Outfit. Je neutraler Ihre Kleidung, Ihr Schmuck und Ihre Frisur sind, desto mehr hört man Ihnen zu.

Nicht nur Video-Konferenzen boomen

Mehr und mehr werden Online-Portale auch zu beliebten Selfmade-Bewegtbild-Werbe-Portalen. Doch gerade Video-Botschaften können entlarvend sein. Falsch eingesetzt, können sie die Auftretenden und das Unternehmen lächerlich machen. Videos können auch zum destruktiven Marketinginstrument werden.

Für Video-Botschaften gilt: behandeln Sie Ihr Publikum mit gebührendem Abstand und Respekt. Knallen Sie ihm nicht einfach Ihre Weisheiten vor die Nase. Führen Sie einen virtuellen Dialog mit Ihrem Publikum. Nehmen Sie Ihr Gegenüber ernst.

Und wenn Sie eine Video-Botschaft aufnehmen: lesen Sie um Himmels Willen keinen schriftlich vorgefertigten Text ab, sondern reden Sie mit Ihrem Publikum. Wer abliest, hat verloren.

Kein Date ohne Inhalt

Auch wenn Äusserlichkeiten wichtig sind: Das Wichtigste bleibt die Botschaft, die Sie vermitteln wollen. Was wollen Sie sagen? Was soll bei Ihrem Gegenüber hängen bleiben? Viele, die sich jetzt vor einer Kamera produzieren, denken wenig an den Inhalt, den sie kommunizieren wollen. Sie denken an die Schale der Nuss, aber nicht an die Nuss selbst.

Gerade in Video-Botschaften ist es wichtig, dass die Botschaft kurz, prägnant, verständlich und möglichst attraktiv ist. Eine solche Botschaft kann man meist nicht aus dem Ärmel schütteln. Da steckt viel Vorbereitung dahinter. Je kürzer eine Botschaft ist, desto mehr Arbeit steckt dahinter. Vermeiden Sie langes Bla-Bla-Reden. Gerade in Video-Konferenzen oder bei Video-Botschaften ist die Aufmerksamkeitsspanne wesentlich kürzer als wenn Sie in einem Sitzungszimmer sprechen.

Hinter einem souveränen Auftritt steckt harte Arbeit, viel Vorbereitung und eine klare Fokussierung auf eine Kernbotschaft. Ein gelungener Video-Auftritt beginnt nicht mit dem ersten Satz vor der Kamera, sondern schon viel früher: Bei der Definition des Inhalts. Was will ich sagen? Was soll beim Gegenüber hängenbleiben?

Stehen Sie nie einfach vor eine Kamera, ohne sich ein Basiswissen angeeignet zu haben. Sonst gehen sie unter in der Lawine all dieser unbedarften, marktschreierischen Selbstdarsteller, die sich so schrecklich toll finden.

Ob Video-Konferenz oder Video-Botschaft: Flirten Sie mit der Kamera! Aber auch flirten will gelernt sein. Ein unbedarfter Flirt endet schnell in einer Abfuhr.