Blog Beatrice Müller

Hilfe, mein Chef braucht Hilfe!

Der moderne Manager ist Coach statt Boss. Die moderne Managerin setzt auf Kollaboration statt Autorität. People Manager, wie Führungskräfte heute heissen, sollen unkompliziert delegieren, statt befehlen. Doch im Alltag zeigt dieser für die moderne Führung propagierte Paradigmenwechsel auch Schwächen. Gerade wenn es ums Kommunizieren geht, ist Delegieren oft keine Option. 

«Guten Tag, mein Chef braucht Hilfe!», so meldet sich der Kommunikations-Verantwortliche eines Medizinal-Unternehmens am Freitagmorgen am Telefon. Der CEO sei soeben von einer Fernseh-Journalistin kontaktiert worden. Sie wolle einen aktuellen Beitrag zur Covid-Situation drehen. Geplant sei, dass ein Kamerateam am Montag um neun Uhr im Unternehmen ein Interview mit dem CEO aufnimmt. «Ehrlich gesagt, befürchte ich das Schlimmste», fügt er weiter an. «Mein Chef hat noch nie vor einer Kamera gestanden. Und im Reden ist er alles andere als überzeugend. Er ist immer zu lang, zu kompliziert.» Man könnte es auch so ausdrücken, sagte der Medienchef: «Er überschätzt sein rhetorisches Talent.» Da er der Chef sei, getraue sich jedoch niemand zu sagen, wie unverständlich er sich ausdrückt.

Was tun in so kurzer Zeit? 

Der Kommunikationsverantwortliche ist ratlos. Wie nur kann der Chef übers Wochenende kameratauglich gemacht werden? Wie kann man mit ihm die Botschaften schärfen für dieses Interview? In so kurzer Zeit? Er, der kaum je eine freie Minute hat, der von Termin zu Termin hastet? Und vor allem, er, der kaum je etwas an sich heranlässt und für Feedback unzugänglich ist? 

Und gerade jetzt wäre es für dieses Unternehmen, von dem bis anhin kaum jemand Kenntnis genommen hatte, wichtig, dass es sich mit diesem Medienbeitrag in der Öffentlichkeit positiv darstellen könnte.

Kommunikationsverantwortliche als Bindeglied

«Üben wir doch gemeinsam mit ihm eine Stunde dieses Interview», schlage ich dem Verantwortlichen vor. «Sonntagmorgen, zehn Uhr, Treffpunkt Zoom!» Skeptisch, aber dankbar, akzeptiert er meinen Vorschlag und trägt ihn zu seinem Chef. 

Und siehe da: Aus der vorgeschlagenen Stunde wurden drei. Der vermeintlich Feedback-taube Chef entpuppte sich – zugegeben – nicht gerade als Redechampion. Aber er zeigte sich äusserst dankbar dafür, dass wir mit ihm in kurzer Zeit seine Keymessages schärften und wir ihm konkrete Hilfestellungen und Tipps gaben für das bevorstehende Interview vor der Kamera.

In einem Unternehmen können Kommunikationsverantwortliche wichtige Bindeglieder sein zur Führungskraft. Eine professionelle, kommunikativ begabte Kraft an der Seite eines CEO kann diesem mit präzisem Q&A-Material eine inhaltliche Basis aufbereiten, die ihm für seinen Auftritt Sicherheit verleiht. Der Kommunikationschef kann ihm aber auch Sparring-Partner für seine Auftritte sein, einer, der ihm Feedback vermittelt. Vorausgesetzt, die Führungskraft lässt dies zu. 

 Zur modernen Führung gehört: Schwächen zeigen

«Verwundbarkeit ist die Basis für Innovation und Kreativität. Ohne Verwundbarkeit kann es keine Innovation geben», ist in einer Manager-Publikation zu lesen. «Verletzlich zu sein bedeutet nicht, schwach zu sein, sondern mutig zu sein – eine Schlüsselqualität, die jeder Manager in Zukunft haben muss». 

In Sachen Kommunikation bedeutet dies: Die Führungskraft muss dazu gebracht werden, sich mit der eigenen Auftrittskompetenz auseinanderzusetzen. Gerade angesichts der rasanten technologischen Veränderungen stellen sich auch in kommunikativer Hinsicht neue Herausforderungen. Eine Führungskraft muss heute in Video-Konferenzen auftreten oder überzeugende Video-Messages verfassen können. Doch gerade diese Disziplin hat ihre Tücken. Wer mit dem Auftritt vor einer Kamera nicht vertraut ist, läuft Gefahr, vielleicht schon in einem wenige Sekunden dauernden Video seine Glaubwürdigkeit zu verlieren. Trotzdem gibt es noch immer Manager, die sich toll finden und sagen: «Ich kann das dann schon.» Das Ergebnis ist dann oft gar nicht so toll. 

Die «Ich kann das schon»-Mentalität ist fehl am Platz

Manch einer unterschätzt die Wirkung eines Video-Auftrittes. Doch gerade Video-Auftritte offenbaren vor allem nonverbale Botschaften sehr unmittelbar. Und manch eine Führungskraft wundert sich, wenn ihm oder ihr plötzlich Attribute wie «unnahbar» oder «arrogant» zugeschrieben werden. Die Kamera ist brutal, sie seziert, sie entlarvt.

Jede Auftritts-Situation hat ihre spezifischen Anforderungen. Und diese sollte man genau kennen, ansonsten der Auftritt zur Gefahr für sich und das Unternehmen werden könnte.  

Eine Präsentation in einer Videokonferenz muss anders gestaltet sein als eine vor Live- Publikum. Eine Video-Botschaft muss anders verfasst sein als eine Rede in der Aula vor den Mitarbeitenden. Vor einer Video-Kamera in einem Streaming-Studio muss anders gesprochen werden als in einem CEO-Talk im Fernsehstudio oder bei einem Interview vor der Kamera eines Journalisten. 

Ein professioneller Auftritt muss gut vorbereitet werden. Dazu braucht es Kenntnis des Handwerkes. Sowohl Auftritts-wie Medienkompetenz gehören heute zu den Grund-Skills einer Führungskraft. Diese sollten geschult und gefördert werden. 

Führungskräfte werden oft allein gelassen 

Im modernen Leadership wird kurz und bündig erklärt: People Manager vereinigen alles: Sie geben Verantwortung an ihre Mitarbeitenden weiter. Die wichtigsten Führungsmerkmale lauten heute: fördern, verstehen, kollaborieren, konstruktiv diskutieren, delegieren.  

 Doch oft werden Führungskräfte in dieser neuen Rolle allein gelassen. So reagieren sie auch in Sachen Kommunikationskompetenz erst unter Druck und angesichts eines bevorstehenden Auftrittes. Doch dann ist es oft zu spät. 

Feedback einholen bedeutet auch heute noch für viele Führungskräfte ein Hindernis. Wohin sich wenden, wenn es doch selbstverständlich ist, dass man das als Führungskraft doch können muss? Auch umgekehrt ist es für die Umgebung nicht einfach, dem CEO Feedback zu geben. «Wer sagt meinem Chef, dass er katastrophal wirkt bei seinen Auftritten?», höre ich oft. 

Es war denn auch meine Rolle, dem CEO im Training klares Feedback zu geben: «Ihre Aussagen sind viel zu schwammig, vollbepackt mit Floskeln und ohne konkrete Aussage», lautete mein Befund. Das war eine direkte Ansage. Wir machten uns an die Arbeit, feilten an der Sprache, an einzelnen Formulierungen, suchten treffende Worte, reduzierten und verdichteten die Sätze. Und wir übten, immer und immer wieder. Keine Schnörkel, kein Blabla, geradeaus soll’s beim Reden gehen. Diese Art der Auseinandersetzung mit seiner eigenen Sprache war Neuland für ihn. 

Die Aussensicht einer externen Beratung leistet wertvolle Dienste 

Die Rolle einer externen Person ist, dass sie unvoreingenommen, ohne hierarchische Rücksichten und ohne Befindlichkeiten einen Spiegel vorhalten kann. Sie kann auch auf Dinge hinweisen, die im Unternehmen in der täglichen Routine nicht mehr wahrgenommen werden.  

Doch manche Chefs wollen sich ihren Mitarbeitern gegenüber keine Blösse geben und nicht zeigen, dass sie Hilfe brauchen. Viele, die externe Beratung in Anspruch nehmen, kommen inkognito. Sie lassen sich, ohne dass das jemand im Betrieb weiss, ein Feedback von einer aussenstehenden Person geben.

Das ist nicht immer nur gut. Es ist ja keine Schande, wenn man nicht als professioneller Redner geboren wurde. Alles muss man lernen, Autofahren und Sprachen – wieso soll man ausgerechnet als Super-Cicerone vom Himmel gefallen sein?  

Auftreten kann man lernen

«Ich kann das ja niemandem sagen», gesteht der CEO, bevor wir uns verabschieden, nach unserem Intensiv-Training, «aber manchmal weiss ich kaum mehr meinen eigenen Namen, wenn ich vor Publikum auftreten muss. Ich verheddere mich, kann mich nicht mehr konzentrieren und weiss am Schluss nicht mehr, was ich gesagt habe. Sie haben mich nun überzeugt, dass ich mich mit diesem Thema «Auftreten» einfach mal auseinandersetzen muss.»

Die gute Nachricht: Auftreten kann man lernen! Und er hat in wenigen Stunden viel gelernt.

Artikel erscheinen in: HR-Newsletter 2021