Zoom bildschirm Beatrice Müller

Zoom & Co. demaskieren

Seit langem wird über die Wichtigkeit der nonverbalen Kommunikation gesprochen. Doch so wichtig wie jetzt, im Zeitalter der virtuellen Meetings, war das Nonverbale noch nie. Zur Weiterbildung sollte heute auch die Schulung im Umgang mit dem virtuellen Raum gehören.

Eine junge Frau, gut ausgebildet, sehr selbstsicher, sitzt zu Hause vor der Kamera. Sie ist eine von 6 Teilnehmerinnen und Teilnehmern einer Zoom-Paneldiskussion.

Die Diskussion entwickelt sich, nach anfänglichem, dem ungewohnten virtuellen Raum bedingten Zögern, immer engagierter. Das Bild der jungen Frau ist, neben den Porträts der anderen auf meinem Bildschirm oben rechts eingeblendet. Die Antworten auf meine Fragen, die ich ihr als Moderatorin stelle, sind ausschweifend. Sie wirkt, im Vergleich zu den anderen, unsympathisch.

Weshalb dieser Eindruck? Es sind nicht die Worte, es ist nicht der Inhalt. Es ist Ihre Mimik. Sie strahlt, während sie den Voten der anderen zuhört, Abschätzigkeit und Langeweile aus. Ihre Botschaft ist klar: „Ich weiss doch schon alles, Zeitverschwendung diese Diskussion, Ihr könnt mir nicht das Wasser reichen.“ Einige der Teilnehmenden schütteln die Köpfe. Einer fragt sie, weshalb sie denn so negativ eingestellt sei. Keine Antwort.

Gutes potenziert sich in virtuellen Meetings, Schlechtes auch

Bei virtuellen Meetings sticht die schlechte Laune eines Teilnehmers sofort ins Auge. Früher, in der realen Welt betrug die Distanz zwischen Diskussionsteilnehmenden und Publikum zehn, zwanzig Meter.

Diese Distanz garantierte eine gewisse Anonymität. Verzog jemand die Mundwinkel, sah das niemand. Langweilte sich eine, merkte das kaum jemand.

Im virtuellen Raum gibt es diese Distanz nicht mehr. Niemand kann sich verbergen. Alle sind während der ganzen Diskussion, während des ganzen Seminars oder Meetings in Grossaufnahme (close-up) auf dem Bildschirm aufgereiht – so, als würde man jedem einzelnen Teilnehmenden mit einer Distanz von zwanzig Zentimetern gegenübersitzen.

Close-ups sind brutal

Grossaufnahmen (im Format 16:9) sind entlarvend, demaskierend. Man registriert schnell, ob jemand unsicher ist, ob sich jemand ängstlich windet, ob er verkrampft ist und eigentlich selbst nicht so ganz überzeugt ist, was er da sagt. Oder man sieht, ob jemand an seine Botschaften glaubt. Wer Gesichter lesen kann, wird hier schnell fündig.

Doch nicht nur die Sprechenden entlarven sich: die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeigen, ohne ein Wort zu sagen, sofort, was sie vom Sprechenden halten. Wir alle sprechen nicht nur mit Worten, wir sprechen auch mit dem Gesicht, mit dem Körper.

Seit langem wird über die Wichtigkeit der nonverbalen Kommunikation gesprochen. Doch so wichtig wie jetzt, im Zeitalter der virtuellen Meetings, war das Nonverbale noch nie.

Die Erfahrung zeigt, dass sich viele, die an solchen Meetings teilnehmen, nicht bewusst sind, dass sie ununterbrochen beobachtet werden. Da sieht man plötzlich jemanden, der gähnt oder auf dem Handy herumtippt, eine Frau, die plötzlich aufsteht und ihre Katze füttert.  

Manche Teilnehmer an Zoom-Konferenzen sind nur „halbe Teilnehmer“. Sie loggen sich zwar ein, zeigen sich jedoch nur mit ihrem Namen und nicht mit ihrem Gesicht. Fürchten sich diese Leute, ihr „wahres Gesicht“ zu zeigen?

Klare Regeln für virtuelle Meetings

An der Art und Weise, wie in einem Unternehmen Sitzungen abgehalten werden, zeigt sich die Kultur eines Unternehmens, einer Führung. Deshalb müssen auch für virtuelle Meetings klare Regeln eingeführt werden: wer sich einwählt, zeigt sich im Bild, ist konzentriert, denkt mit und hält sich in seinen Wortmeldungen kurz.

Auch wer an einer virtuellen Konferenz teilnimmt, sollte mit seinem Gesicht, mit seiner ganzen Person anwesend sein. An realen Konferenzen verbirgt man ja das Antlitz auch nicht.

Virtuelle Meetings verlangen mehr Konzentration

Bei Sitzungen in einem Sitzungszimmer ging es oft lockerer zu als in einem Zoom-Meeting. Damals schweiften die Blicke von links nach rechts, man rückte auf dem Stuhl hin und her, man ordnete seine Papiere, man machte sich Notizen, vielleicht ab und zu ein Lächeln.

Hin- und Herrücken geht nicht, den Blick herumschweifen lassen, auch nicht. Man schaut aufmerksam in dieses kleine Kameraloch am Laptop und muss sich vorstellen, dass einem jetzt unter Umständen Dutzende Augen zuschauen. Wie kann ich dieses anonyme Gegenüber überzeugen und in den Bann ziehen?

Ich habe lange Zeit die Tagesschau moderiert. Einsam sass ich in einem Studio, blickte in eine Kamera und eine Million Leute schaute mir zu. Immer wieder wurde ich gefragt, denkst du an diese Leute oder sprichst du einfach vor dich hin? Wichtig ist, dass man sich die Zuschauerinnen und Zuschauer vorstellt, immer wieder. Das ist eine Konzentrationsarbeit. Tut man das nicht, leiert man den Text hinunter.

Locker vom Hocker

Zwar gehen viele mit viel Respekt und vielleicht sogar noch etwas verkrampft in eine virtuelle Session. Andere jedoch zeigen sich demonstrativ in lockerer Atmosphäre.

Ich leitete kürzlich ein Webinar. Einer der Teilnehmer lümmelte sich auf einem Sofa, die Beine hochgestellt, den Laptop auf den Knien. Nimmt man einen solchen Menschen als Gesprächspartner ernst? Verlangt man nicht in einem ernsthaften Meeting, dass die Teilnehmer konzentriert und aufmerksam wirken? Würde der besagte Mann auch in einem Sitzungszimmer die Beine hochhalten? Das Home Office hat manche zu einem sehr ungezwungenen Verhalten verführt. Und natürlich gibt es Leute, die zu spät kommen und plötzlich in das Meeting hineinplatzen. Das stört.

Virtuelle Sitzungen bieten viele Vorteile

Meine Erfahrung zeigt, dass die Mehrheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer schnell begriffen hat, welche Vorteile und Möglichkeiten Zoom-Sitzungen bieten. Denn im Gegensatz zu den da und dort verbreiteten Klagen über die verloren gegangenen menschlichen Kontakte bieten virtuelle Sitzungen viele Vorteile.

Sie sind meist kürzer, die meisten Leute sind konzentrierter, man hört den Sprechenden eher zu, denn sie befinden sich zwanzig Zentimeter von mir entfernt und schauen mich an.

Doch virtuelle Meetings brauchen mehr Vorbereitung. Man kann nicht einfach drauflos schwatzen. Die Wortmeldungen müssen kurz und strukturiert sein. Man muss schnell auf die Argumente der anderen reagieren können.

Der virtuelle Hype stellt die HR-Verantwortlichen vor neue Aufgaben.

Das beginnt bei den Bewerbungsgesprächen. Die Kandidaten erscheinen nun auf dem Bildschirm und werden so befragt. Ein HR-Chef eines schweizerischen Unternehmens sagte mir: „Ich stelle Leute an, ohne sie real zu sehen. Anhand ihres virtuellen Auftritts sollen wir entscheiden, ob sie zu uns passen. Das ist ganz neu. Ich bin mir nicht sicher, ob wir auf diese Weise wirklich die Richtigen finden.“

Die virtuelle Evaluation verlangt viel Fingerspitzengefühl und vor allem: Sie verlangt die Fähigkeit, Gesichter und Mimik lesen zu können. Die HR-Leute waren schon immer auch eine Art Psycho-Analytiker. Jetzt sind sie es noch mehr.

Doch nicht nur bei Vorstellungsgesprächen sind die HR-Leute vermehrt gefordert. In fast allen Betrieben müssen heute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nun auch virtuell auftreten können. Man arbeitet in Teams, schaltet sich virtuell zusammen. In Zeiten von Home-Office muss man virtuell überzeugen können. Aufgabe der HR-Leute ist es nun, ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auch in der virtuellen Auftrittskompetenz zu schulen, zu fördern und sie in die neue digitale Welt einzuführen.

Doch um das zu können, müssen es auch die HR-Leute können. Die meisten sind sehr selbstkritisch und wissen, dass eine neue Zeit angebrochen ist. Sie bilden sich selbst weiter, wagen sich in den virtuellen Raum und probieren Neues aus.

Es herrscht noch viel Unsicherheit

Erstaunlich ist oft, wie unvorbereitet Mitarbeitende aber auch Führungspersonen in solche Meetings gehen. Fast immer beginnt eine Zoom-Konferenz nicht zur Zeit, fast immer gibt es Leute, die nicht wissen, wie man sich einloggt, welche Tasten man drücken muss, wie man sich bemerkbar macht, wie man den Ton regelt. Das ist ärgerlich, denn jene, die es können, müssen dann warten, bis es auch der letzte kapiert hat. So beginnen virtuelle Meetings oft schon unter einem schlechten Stern.

Virtuelle Auftrittskompetenz schulen

Zur Weiterbildung sollte heute auch die Schulung im Umgang mit dem virtuellen Raum gehören. Aufgabe der Ausbildung muss es künftig sein, die Leute mit Zoom, Teams, etc. vertraut zu machen. Doch die Handhabung der Technik alleine genügt bei weitem nicht. Es geht darum, zu vermitteln, wie man sich im virtuellen Raum bewegt, welche Gefahren darin lauern und wo die Fallen sind.

Übrigens: Ich schickte der anfangs erwähnten jungen Frau eine Aufzeichnung ihres schnöden Auftritts. Ich fragte sie, wie sie ihren Auftritt beurteile. Ich kriegte keine Antwort.

Artikel erscheint in: HR-WEKA Newsletter Januar 2021